Verpolizeilichung, Versicherheitlichung und Militarisierung

Dr. Dr. Peter Ullrich, Soziologe und Kulturwissenschaftler und Forscher an der TU Berlin und am Institut für Protest- und Bewegungsforschung stellt  den Gesetzesentwurf in einen größeren Kontext: Er ist Teil einer Verpolizeilichung des Rechts, einer Versicherheitlichung des Staatsapparates und einer Militarisierung der Polizeibehörde.

Im Zuge des neoliberalen Staatsumbaus ist „Sicherheit“ zur zentralen Legitimationsquelle von Regierungen einerseits und zu einem fundamentalen Problem im gesamtgesellschaftlichen Diskurs andererseits geworden. Dabei werden in der öffentlichen Debatte immer über Sicherheits- und Unsicherheitsfragen gesprochen, wobei sich die Bedeutung von „Sicherheit“ in Bekämpfung von Kriminalität erschöpft und der soziale Aspekt völlig ausgeblendet wird. Auf die Frage „Was kann man gegen das Unsicherheitsgefühl tun, antwortete Ullrich, dass man zunächst aufklären müsse. „Kriminalitätsstatistiken zeigen, dass Gewalt zurückgeht.“ Zudem bedauert er, dass es eine „Separierung von Öffentlichkeiten“ gäbe, die sich in sich selbst bestätigen: „Es gibt keinen gesellschaftlichen Diskurs mehr, weil man sich nicht mehr begegnet“.

Bezugnehmend auf die Anschläge von 9/11 und solchen wie dem vom Berliner Breitscheidplatz oder im Pariser Bataclan zeichnen Staat und Polizei ein Bedrohungsszenario des internationalen Terrorismus, dem man dringend etwas entgegenzusetzen habe. So verschiebt sich das Einsatzbild der Polizei allmählich hin zu einer militärischen Auseinandersetzung mit Terroristen. Die Polizei wird mit Kriegswaffen aufgerüstet, Stärke und Härte sind zu ihrem Leitbild geworden und polizeiliche Maßnahmen, deren Wirkung über sich selbst hinausgehen, sind fest verwurzelt in ihrer Feindbildideologie. Der aktuelle Terrorismus- und Sicherheitsdiskurs leistet der Entgrenzung der Institution Polizei Vorschub, das Leitbild der bürgernahen Polizei verschwindet dabei hinter Panzern und Aufrüstung und in einer Spirale aus Überwachung und Gegenüberwachung, bei dem das Phänomen des „function creep“ zu einer schleichenden Ausweitung der Anwendung einzelner Maßnahmen führt.

Mit dem neuen Polizeigesetzt erschließt sich die Polizei neue Handlungsfelder, die nicht ihre sind. „Präventive Maßnahmen werden zu repressiven Maßnahmen“, sagt Ullrich und meint damit unter anderem anlasslose Vorfelderkundungen. „Die Terroristen haben schwere Waffen, die Polizei meint, da mitziehen zu müssen und fährt Panzer, Handgranaten, Maschinengewehre und schwere Schutzausrüstung auf. Das führt nach und nach zur Militarisierung der Polizei.“ Damit agiert die Polizei politisch, wenn solche Entwicklungen (nachträglich) gesetzlich gerechtfertigt werden sollen. Man darf die Definitionsmacht der Polizei nicht unterschätzen, da sie über die Kriminalisierung von Menschen entscheide. Ullrich kritisiert die unbestimmten Rechtsbegriffe, die im neuen Polizeigesetz enthalten sind. Ullrich berichtet als negatives Beispiel für die Militarisierung der Polizei vom „Taser“, eine Art Elektroschockpistole, die in den Niederlanden eingeführt wurde. Amnesty International berichtete: „Die niederländische Sektion von Amnesty International hat einen Bericht zum Probelauf des Tasers in den Niederlanden erstellt. Die Bilanz ist ernüchternd, und steht auch in klarem Widerspruch zu vielen Argumenten, die in Deutschland vorgebracht werden, um den Taser einzuführen. Meistens wurde er in Situationen genutzt, die keinen Schusswaffeneinsatz erlaubt hätten, und in 80 % der Fälle wurde der Taser sogar gegen Unbewaffnete eingesetzt. In anderen Fällen wurden Menschen getasert, denen bereits Handschellen angelegt waren, oder sie wurden mehrfach getasert, was ein schweres Gesundheitsrisiko darstellt.“ (Quelle: http://amnesty-polizei.de/der-taser-ein-gescheitertes-experiment/, abgerufen am 08.03.2019)

Durch Gesetzgebungen wie die in Brandenburg werden Macht und Spielraum der Polizei sowohl im juristischen als auch im soziologischen Sinne weiter verfestigt und erweitert. Wenn nun auch linke Parteien nicht mehr als Vertreter*innen von Bürgerrechten agieren, dann geben sie ein Terrain auf, das sie eigentlich mit der Thematisierung steigender sozialer Ungleichheit besetzen sollte, um der verunsichernden Symbolpolitik etwas entgegenzusetzen.

Auf die Frage, wer denn ein Interesse an der Militarisierung der Polizei hätte, antwortet Ullrich, er vermute dahinter Interessen von der Rüstungsindustrie. Lobbyisten der tauschen sich mit Politiker*innen informell z.B. auf Messen aus. Ullrich betont an dieser Stelle nochmal, dass die „Sicherheitsproblematik“ von der Politik zum zentralen Thema gemacht wird und nicht die soziale Sicherheit, was dringend notwendig wäre.

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