Warum sind die Verschärfungen so kritisch? Unsere Rubrik ‚Fragen & Antworten‘ hilft, sich zu informieren.
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1. Ausweitung der Schleierfahndung bzw. der anlasslosen Personenkontrollen und gegebenenfalls Durchsuchungs- und Festnahmebefugnisse von einem bisherigen Grenzbereich auf das Landesinnere (§ 12)
2. Erstmals explizite Meldeauflagen u. a. im Bereich des Versammlungsgesetzes (§ 15a); bis zu einem Monat kann die Polizei ohne richterlichen Beschluss und ohne großen Begründungserfordernissen Personen verpflichten, sich regelmäßig an einer Polizeistelle zu melden (zur Unterbindung der Teilnahme an Demonstrationen, Fußballspielen etc.).
3. Legalisierung von Hauseinbrüchen für die Polizei, damit sie Spionagesoftware oder sonstige Überwachungsmöglichkeiten auf technischen Geräten anwenden kann (§ 23)
4. Im Rahmen der „Terrorismus“-Abwehr: Massive Ausweitung der Eingriffsmöglichkeiten und Grundrechtseinschränkungen auf Grundlage von unbestimmten bzw. nicht näher definierten Merkmalen, die sich den vielfach im Kontext des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes kritisierten Begriffs der „drohenden Gefahr“ gleichen. (§ 28a bis § 28f):
- Menschen können von der Polizei weit im Vorfeld einer Gefahrensituation als Gefährder bzw. als drohende Gefahr eingestuft und so massiven Repressionen und Überwachungen ausgesetzt werden, u. a. Gewahrsamnahmen bis zu einem Monat, Aufenthaltsgebote und Kontaktverbote, Online-Überwachung mit Spionagesoftware.
- Ausweitung der automatischen Kennzeichenfahndung
5. Ausweitung der geheimdienstlichen Methoden bei der Polizei: Quellen-Telekommuniskationsüberwachung (TKÜ) u.a. mittels Einsatz von Spionagesoftware („Staatstrojaner“) und unter Ausnutzung von IT-Sicherheitslücken, um verschlüsselte Kommunikation zu überwachen. (§ 28e)
6. Ausweitung und längere Speicherzeiten (2 Wochen statt 48 h) der polizeilichen Videoüberwachung an öffentlichen Straßen und Plätzen und an ‚gefährdeten‘ Objekten und ihrer näheren Umgebung (der Umgebungsbegriff ist dabei in der Gesetzesbegründung besonders hervorgehoben im Hinblick auf Kraftwerke und Flughäfen). Allein die Polizei entscheidet über die Erfordernisse einer Überwachung (§ 31).
7. Einsatz von Bodycams für die allein von der Polizei gesteuerten Aufnahme von Bild- und Tondaten (§ 31a)
8. Ausweitung der durchgehenden Observation von Personen mit nun mehr als 72 h statt bislang 48 h (§ 32)
9. Erweiterung der Öffentlichkeitsfahndung (Suche mittels Angaben von persönlichen Daten (Bilder, Personenbeschreibungen etc.)) ins Vorfeld einer vermuteten Straftat statt wie bislang allein zur Aufklärung von Straftaten (§44)
10. Einsatz von Handgranaten bzw. Sprengmitteln gegen Personen möglich (§ 69)
Viele der geplanten Befugnisse würden einen noch größeren Personenkreis betreffen:
Beispielsweise die Ausweitung der Video- und Kommunikationsüberwachung sowie verdachtsunabhängige Personenkontrollen im öffentlichen Raum treffen immer auch Personen, die in keinerlei Zusammenhang mit einem „Gefahrenverdacht“ oder einer konkreten Straftat stehen. Gerade manche DDR-Bürger*innen können sich noch gut an das beklemmende Gefühl erinnern, wenn die Wände manchmal Ohren hatten. Möchten wir wirklich, dass ein*e Polizist*in, wenn vielleicht auch nur versehentlich, in unserer digitalen Wäscheschublade wühlt? Ein dauerhaftes Gefühl der Beobachtung (siehe Punkt 16. zur Videoüberwachung) schränkt die freie Entfaltung der Persönlichkeit ein. Nicht umsonst ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein Grundrecht.
Diese widersprechen dem Bestimmtheitsgebot (Art. 20 II GG), das ein grundlegender Teil von Rechtsstaatlichkeit ist, um Willkür zu verhindern.
So machen Diebstahlsdelikte (37,5%), Betrug, Sachbeschädigung und Drogendelikte mit insgesamt 70% den überwiegenden Teil der Straftaten aus (siehe Polizeiliche Kriminalstatistik 2017). Besonders die Diebstahldelikte sind in Brandenburg in den letzten Jahren rückläufig. Straftaten gegen das Leben (0,1%), Sexualdelikte (1%) und Körperverletzung (10%) sind in der Strafstatistik ein kleinerer Bestandteil. Auch diese sind über die letzten 25 Jahre eher rückläufig. Dabei sind die letztgenannten Gewalttaten häufig Beziehungstaten. So ist es wahrscheinlicher, Opfer eines Angehörigen oder einer Person zu werden, mit der du in einer Beziehung stehst, als bei einem Terroranschlag verletzt zu werden oder von der sogenannten Grenzkriminalität betroffen zu sein.
Trotz der statistischen Erkenntnis wird die Bekämpfung des „Terrorismus“ oder der „Kriminalität“ zum Anlass genommen, Bedrohungsszenarien aufzubauen und für immer schärfere Gesetze zu plädieren. Anschläge aus den letzten Jahren, wie z.B. durch den NSU oder am Breitscheidplatz, werden ins Feld geführt, auch wenn es keine Anzeichen dafür gibt, dass der Polizei die nötigen Befugnisse gefehlt hätten, um diese zu verhindern. Im Gegenteil: Es gab in beiden Fällen genügend Wissen und Daten weit im Vorfeld. Bessere Behördenarbeit lässt sich nicht durch neue Befugnisse herbeizaubern.
Nicht nur im Falle Brandenburgs waren sich versammelte Expert*innen auf der Fachtagung des Verfassungsschutzes Brandenburg im Juni 2018 darüber einig, dass eine breit angelegte Präventionsarbeit zivilgesellschaftlicher und staatlicher Akteure entscheidend ist, um Radikalisierung und damit Anschläge zu verhindern. Ein Beispiel für eine wirksame präventive Maßnahme ist die Resozialisation. Wenn diese wirklich gelingt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass zumindest erneutes straffällig werden verhindert wird. Auch Erkenntnisse soziologischer und psychologischer Forschung können helfen, um geeignete staatliche Vorbeugemaßnahmen in die Wege zu leiten. Unabhängig davon darf nicht vergessen werden, dass ‚Kriminalität‘ und ‚Terrorismus‘ in erster Linie ein gesellschaftliches Problem ist, was langfristig auch nur gesellschaftlich statt polizeilich zu lösen ist. Das Polizeigesetz ist der falsche Rahmen für die Ursachenbekämpfung von Kriminalität und Terrorismus. Beispielsweise wird eine Videokamera nicht eingreifen, wenn eine Straftat geschieht und Menschen, die kein Interesse daran haben, Teil einer rechtsstaatlich organisierten, demokratischen Gesellschaft zu sein, werden sich durch polizeiliche Schikanen kaum eines Besseren belehren lassen. Allerdings sorgen solche Gesetzesentwürfe dafür, staatliche Macht zu demonstrieren und Sicherheit zu propagieren – zumindest, was die gefühlte Sicherheit der potentiellen Wähler*innen angeht. Universale Sicherheit aber kann nur eine Lüge sein, egal, wie viele Gesetze man erlässt.
Allerdings öffnet ein Gesetz mit diffusen Bestimmungen Tür und Tor für allerlei Grundrechtsverletzungen seitens der Polizei.
Kurz und gut bzw. schlecht: Wer ein Gefährder ist, ist rein rechtlich Auslegungssache der ermittelnden Beamt*innen in deiner Kommune und in deinem Bundesland.Wenn dieser Begriff nun in der Landesgesetzgebung wie im Brandenburger Polizeigesetz auftaucht, wird er also auch von der jeweiligen Landesregierung – je nach politischer Motivation – mitbestimmt. Oder eben gar nicht. Der „Gefährder“ ist also ein ähnliches Konstrukt wie der „Terrorismus“ (siehe oben) und ebenfalls Teil einer politischen Justiz, was die Gewaltenteilung in Frage stellt, im Einzelfall schnell zu Missbrauch führt und eine universale Rechtfertigung zum Beispiel für präventive Überwachung durch Polizeibehörden hergibt. In Wahrheit sprechen solche unklaren Konstrukte aber eben auch dafür, dass die Sicherheitsbehörden ihre Arbeit nicht gründlich machen und lieber Willkür und eventuelle Rechtsbrüche in Kauf nehmen, statt ein komplexes Problem so genau zu untersuchen, dass geeignete Maßnahmen und Instrumente gefunden werden können. Im Fall NSU oder Anis Amri konnte man unschwer verfolgen, dass die Ermittlungen aufgrund von Zuständigkeitsrangeleien und schlechter Kommunikation erfolglos geblieben sind – obwohl man Anis Amri längst als Gefährder identifiziert hatte, Beate Ztschäpe und die anderen Nazis so eines Labels hingegen wohl nicht bedurften.
Medial ruft der Begriff so etwas wie eine omnipräsente Bedrohungslage aus – überall in Deutschland lauern scharenweise Gefährder, Terroristen oder Schläfer – die gefunden und im Besten Fall abgeschoben werden sollen, auf jeden Fall gibt es dringlichen Handlungsbedarf. Der Bevölkerung wird es mulmig und Einwander*innen schreckt das im Besten Fall ab. Einer Politik, die Migration und Flucht nach Deutschland verhindern will und Wähler*innenstimmen über Sicherheitsrhetoriken und Freund-Feind-Polemiken gewinnt, kommt das natürlich entgegen. In Polizeibehörden, die einen blinden Fleck hinsichtlich ihres strukturellen Rassismus haben, führen solche unklaren und unverbindlichen Begriffe dazu, dass Personen aufgrund ihrer Ethnie, Stereotypen oder ihrer sozialen Herkunft noch massiver gelabelt und entsprechend bedrängt werden – oder eben aufgrund ihrer politischen Einstellung und Initiative.
Eingriffsbefugnisse orientieren sich immer eher an der (teilweise spontanen, subjektiven) Bewertung von Menschen und ihrer vermuteten oder potentiellen („drohenden“) Gefährlichkeit – im Zusammenspiel mit der Erweiterung und Ermächtigung zu technischen Maßnahmen, bergen die Gesetzesnovellen ein hohes Missbrauchspotential und greifen gravierend in die Grundrechte ein.
Grundsätzlich zielen die geplanten oder bereits realisierten Polizeigesetzesänderungen der Länder also auf einen Umbau von Polizei- und Sicherheitsrecht. Auf der anderen Seite zielen sie allzu deutlich auf eine außerparlamentarische gesellschaftliche Opposition und auf die Freiheit des Individuums in all ihren Facetten. Angesichts einer sich insgesamt zuspitzenden Situation – soziale und ökonomische Krisen, Klimawandel, nicht endende Kriege und veränderte Migrationsbewegungen – scheint das der wahre Hintergrund für die Verschärfungen zu sein: Falls für all diese Probleme keine politische Lösung gefunden wird, bereitet man im Hinterzimmer eine autoritäre vor.
- Baden-Württemberg, November 2017: Intelligente Videoüberwachung, Quellen-TKÜ, TKÜ, Aufenthaltsanordnung, Kontaktverbot, elektronische Fußfessel, Explosivmittel
- Bayern, Juli 2017: Intelligente Videoüberwachung, Drohnen, Gewahrsamsverlängerung, Aufenthaltsanordnung, Kontaktverbot, elektronische Fußfessel, erweiterte DNA-Analyse, Postsicherstellung, verdeckte Ermittler und V-Leute, Explosivmittel
- Hessen, Juni 2017: Onlinedurchsuchung, automatisierte Datenauswertung, Meldeauflagen, Aufenthaltsanordnung, Kontaktverbot, elektronische Fußfessel
- Mecklenburg-Vorpommern, März 2018: Aufenthaltsanordnung, elektronische Fußfessel, Body-Cams
- Rheinland-Pfalz, Juni 2017: Videoüberwachung ausgeweitet, automatisierte Kennzeichenerfassung, Body-Cams
- Bremen: Videoüberwachung ausweiten, TKÜ, Quellen-TKÜ, elektronische Fußfessel,
- Niedersachen: Gewahrsamsverlängerung, Quellen-TKÜ, Onlinedurchsuchung, Aufenthaltsanordnung, Kontaktverbot, elektronische Fußfessel
- NRW: Videoüberwachung ausweiten, Gewahrsamsverlängerung, verdachtsunabhängige Kontrollen, TKÜ, Quellen-TKÜ, Onlinedurchsuchung, Aufenthaltsanordnung, Kontaktverbot, elektronische Fußfessel, Taser
- Saarland: Quellen-TKÜ, elektronische Fußfessel, Videoüberwachung ausweiten
- Sachsen: intelligente Videoüberwachung mit Gesichtserkennung, automatisierte Kennzeichenerfassung, TKÜ, Meldeauflagen, Aufenthaltsanordnung, Kontaktverbot, elektronische Fußfessel, DNA-Analyse, Explosivmittel,
- Sachsen-Anhalt: Meldeauflagen, Aufenthaltsanordnung, Kontaktverbot, elektronische Fußfessel
- Berlin, Hamburg, Schleswig-Holstein: genauere Inhalte noch unbekannt
- Thüringen: derzeit keine Verschärfung geplant
Zur Erklärung: Richterliche Beschlüsse müssen – wenn richterliche Vorbehalte im Polizeigesetz stehen oder wenn es rechtliche Urteile über bestimmte Maßnahmen gibt – von der Polizei eingeholt werden, um eine Erlaubnis zur Durchführung der Maßnahmen zu bekommen.
Warum sind richterliche Vorbehalte nicht ausreichend und keine generelle Absicherung gegen zu starke und willkürliche Verletzung von Grundrechten?
- Vorneweg, es gibt nach wie vor viele (geplante) Eingriffsbefugnisse, die keinen richterlichen Beschluss zur Bedingung haben (Meldeauflagen, Öffentlichkeitsfahndung)
- Richterliche Beschlüsse werden oft unter Zeitdruck ausgestellt – eine intensive, sachgerechte Beschlussfindung braucht aber Zeit. So können schnell schwerwiegende Fehler bzw. Fehleinschätzungen passieren.
- Die Informationen, die Richter*innen vorliegend haben, stammen allein von den Ermittlungsbehörden (Staatsanwaltschaft oder Polizei). D.h. es gibt nur belastende bzw. für die Maßnahmen sprechende Aspekte, die Richter*innen für ihre Einschätzung nutzen können – es liegt nahe, dass so einseitige richterliche Beschlüsse eher der Regelfall sind als die Ausnahme.
- Die polizeilichen Grundrechtseinschränkungen wie die geplante 4 Wochen Präventiv-Gewahrsamnahme sind de facto außergerichtliche Bestrafungen, auch mit richterlichen Beschluss. Denn ein richterlicher Beschluss kann kein „ordentliches“ Gerichtsverfahren ersetzen, bei dem nicht nur Staatsanwalt sondern auch die Verteidigung Grundlagen liefern, um ein abschließendes und – im Idealfall – abgewogenes, gerechtes Urteil zu fällen. Mit immer mehr Befugnissen zur Repression tritt die Polizei an die Stelle der bestrafenden Justiz: Die Gewaltenteilung wird untergraben.
- Die aktuellen Verschärfungen beinhalten insbesondere im Terrorparagraf die Absenkung von Begründungserfordernissen für die Polizei. Schwammige Begriffe à la „drohende Gefahr“ sollen nun klären, warum welche polizeilichen Maßnahmen durchgeführt werden sollen. Das führt dazu, dass auch die Anforderungen bei der richterlichen Begründung für Maßnahmen geringer werden. Denn auf Grundlage von schwammigen Begriffen kann sowohl die Polizei und als auch die Justiz vieles rechtfertigen.
Nun möchte man das gleiche aber auch ohne Anlass an Hauptverkehrswegen dürfen – in bestimmten Gebieten in ganz Brandenburg, wo genau, wird erstmal noch nicht gesagt. Wenn dich also deine Eltern aus einem anderen Bundesland besuchen kommen oder wenn eine Freundin aus Berlin mit dem Auto nach Potsdam fährt, kann es sein, dass sie angehalten und im schlimmsten Fall durchsucht werden.
Es gibt Städte, die liegen in der 30 km-Zone. Zum Beispiel Cottbus. Aus Cottbus berichten Menschen, die nicht als Deutsch oder Weiß wahrgenommen werden, von massiven Kontrollen und Bedrängnissen, ebenso geht es politischen Aktivist*innen. Für rassistische Eingriffe und politisch motivierte Schikanen hätte die Polizei nach dieser Gesetzesänderung also noch mehr Platz.
Auch im Fall der Bodycams ist die subjektive und spontane Einschätzung von Beamt*innen ausschlaggebend dafür, ob durch das Speichern der Daten in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen wird oder nicht. Die betroffenen Personen werden nicht darüber informiert, ob Aufzeichnungen von ihnen von der Polizei gespeichert werden.
Schon jetzt gibt es die Möglichkeit von Meldeauflagen, damals offiziell eingeführt um Ausschreitungen von Hooligans im Ausland zu verhindern. Faktisch wurden diese Meldeauflagen aber hauptsächlich gegen bekannte politische Aktivist*innen eingesetzt. Im Vorfeld der Proteste gegen den G8-Gipfel in Genua 2001 wurden an vielen Orten Menschen gezwungen, eine Woche an ihrem Wohnort zu bleiben. In vielen Fällen, auch in Brandenburg, waren darunter Menschen, die zwar in irgendwelchen Dateien der Polizei standen, aber nie wegen einer Straftat verurteilt wurden. In Bayern war jemand z.B. in einer „Gewalttäter Links“-Datei, weil er oft als Demonstrationsanmelder auftrat und wurde mit Meldeauflagen belegt. Die Grundlagen für solche polizeilichen Einschätzungen sind nicht nachvollziehbar, und konnten nur im Nachhinein ernsthaft gerichtlich überprüft werden. Das ist zu spät, selbst wenn in vielen Fällen die Maßnahme im Nachhinein als unverhältnismäßig eingeschätzt wurde.
Kontaktverbote wurden eigentlich bei Fällen von Stalking oder Belästigung eingesetzt. Nun will man damit verhindern, dass sich Kriminelle oder „terroristische“ Gruppen organisieren können. Um ein Kontaktverbot und ein Aufenthaltsver- oder –gebot konsequent durchzusetzen, müssten weitere Observations- und Überwachungsmaßnahmen angewendet werden, um sicherzustellen, dass sich die Person beispielsweise nicht drei zusätzliche Mobiltelefone besorgt und sich wirklich immer an diesem Ort und an jenem Ort nicht aufhält. Damit ist das Kontaktverbot oder die Aufenthaltsvorgabe eher eine Sprungbrett für weitere Maßnahmen.
Auch oppositionelle Gruppen aus dem linken Spektrum werden regelmäßig nach polizeilichem Ermessen als irgendwie terroristisch eingeschätzt – mit Vorliebe im Vorfeld von Veranstaltungen wie Gipfeltreffen. Wenn du so einer Gruppe angehörst und ein Kontaktverbot bekommst, kannst du dich vermutlich nicht mehr mit deinen Freund*innen organisieren und bist sozial isoliert und sicherlich darfst du dich am Ort der Demonstration nicht aufhalten, wegen deines Aufenthaltsverbots. Vermutlich würdest du dich an die Auflage halten, damit du in Zukunft von der Polizei in Ruhe gelassen wirst und wieder in Ruhe leben kannst. Fraglich ist allerdings, ob eine Person, die einen Anschlag plant, wegen eines solchen Verbots davon absehen würde, ihn auch durchzuführen. Und fraglich ist dann, was uns so ein Gesetz eigentlich einbringt.
Wenn das Aufspielen eines Staatstrojaners nicht direkt erfolgen soll, sondern über das Internet, müssen dafür Sicherheitslücken in allen Betriebssystem für alle internetfähigen Geräte auf dem Schwarzmarkt gekauft und diese Lücken auch offen gehalten werden. Sicherheitslücken wurden und werden aber auch von anderen genutzt, z.B. Kriminellen Hackern, zur Wirtschaftsspionage, Erpressern und anderen Geheimdiensten. So wird im Zweifel mehr Schaden angerichtet, als verhindert wird.
Detailliertere Informationen hierzu findest du hier beim Chaos Computer Club.
Nach dem neuen Gesetzentwurf soll Videomaterial nicht mehr 48 Stunden, sondern zu Ermittlungszwecken generell zwei Wochen aufbewahrt werden. Darüber hinaus sollen Kameras nicht mehr nur an „gefährdeten“ Objekten, sondern auch dort aufgestellt werden, von wo aus man auf solche Objekte „Einfluss nehmen“ können soll. Im ländlichen Raum könnten das dann ganz schön weitläufige Gebiete sein – viele Wege führen zu Flughäfen oder zu Kraftwerken. In der Stadt geht es dann um Gebiete rund um Bahnhöfe oder den Weihnachtsmarkt. Schneller als gedacht sind dann ganze Innenstädte flächendeckend überwacht. Im Zusammenhang mit Gesichtserkennungssoftware, die gerade z.B. im Bahnhof Berlin Südkreuz erprobt wird, lassen sich dann umfassende Bewegungsprofile automatisiert erstellen.
Die wenigen Studien, die es zur Wirksamkeit von flächendeckender Videoüberwachung gibt, zeigen alle, dass sie keine Auswirkung auf die Kriminalität haben und auch in Bezug auf die Aufklärungsquote zu keinem eindeutigen Ergebnis kommen. Trotz diesem dürftigen Kenntnisstand wird in Kauf genommen, dass die gesamte Bevölkerung gefilmt wird und die Bilder aufbewahrt werden. Mit zukünftigen Analyseprogrammen werden wir dann vielleicht demnächst von der Polizei kontrolliert und durchsucht, weil ein Algorithmus errechnet hat, dass wir zu lange irgendwo rumstanden, uns zu hektisch bewegten, uns das Falsche zu lange angeschaut – oder die falsche Hautfarbe haben. Sicher ist sicher.
Ein Auswahl an kritischen Stimmen findet ihr hier:
- Stellungnahme des Landesverbands Berlin-Brandenburg des Neue Richtervereinigung e.V. vom 28.07.2017
- Weitere Stellungnahme des Landesverbands Berlin-Brandenburg des Neue Richtervereinigung e.V. vom 01.08.2018
- Stellungnahme des Deutschen Anwaltverein vom 06.11.2018
- „Scharfe Kritik der Justiz am neuen Polizeigesetz“, Zeitungsartikel der MOZ vom 06.08.2018
- „Vorverlagerung von Eingriffsbefugnissen: Die „drohende Gefahr“ in Polizeigesetzen“, Online-Artikel auf netzpolitik.org vom 08.08.2018
- „Staatstrojaner sind ein Risiko für die Innere Sicherheit“, Online-Artikel auf netzpolitik.org vom 05.09.2018
- „Deutschland probt den Ausnahmezustand“, Pressemitteilung vom Bundesarbeitskreis kritischer Juragruppen aus dem Juli 2018
- „Mehr Überwachung bringt nicht mehr Sicherheit – Neue Gesetze erweitern die Handlungsspielräume der Polizei in den Bundesländern“, Rosa Luxemburg Stiftung im Interview mit dem Rechtswissenschaftler und Kriminologe Prof. Dr. Tobias Singelnstein über die aktuellen Landespolizeigesetzesverschärfungen, Oktober 2018